12.9.2020 Schmitten (Tag 102, 6’305km)

18.93km, 322hm, 1:25h, schön, 18°

Bereits um 6:30 läutete der Wecker und es war noch ziemlich finster. Dann gab es zum letzten Mal Espresso aus dem Bialettikocher und der letzte Tagebucheintrag wurde geschrieben. Gegen halb neun fuhr ich dann los via Ferenbalm, Wallenbuch, Kriechenwil nach Laupen. War ein wunderschöner Morgen und eine herrliche letzte Fahrt zum Geniessen. In Laupen hatte ich noch genügend Zeit um noch einen Cappuchino trinken zu gehen im Restaurant Knusperli beim Coop.

Letzter Eintrag ins fast volle Buch

Danach fuhr ich durch Laupen Richtung Bösingen. Als mich zig Fahrzeuge überholten und kreuzten, hatte ich jedesmal Angst, das mich jemand erkennen würde und dann möglicherweise Nici schreiben würde: „Wusste gar nicht dass er schön heute kommt?!“. Das letzte Stück hoch nach Bösingen und Fendringen war nochmals recht anstrengend.

Mein Ziel war die Kaisereggstrasse in Schmitten, das Zuhause von Sam, um dort eine Dusche zu nehmen und falls die Zeit es erlauben würde, noch ein kleines Apéro 😉 Ich wollte auf jeden Fall die Durchfahrt durchs Dorf vermeiden und fuhr via Friesenheid, kurz der Hauptstrasse entlang und bog dann in den Schotterweg Richtung Gwatt. Zum Glück spielte niemand Fussball, aber auf dem Werkhof herrschte reger Betrieb. Ich erkannte ein paar Leute, aber sie mich nicht, glaubte ich auf jeden Fall. Einzig auf Esther traf ich beim Altersheim und wir hielten ein kurzes Schwätzchen.

Schmitten

Um halb 11 kam ich bei Sam an und nach einer wohltuenenden Dusche gab es ein üppiges Apéro 🙂 Kurz vor 12 Uhr fuhren wir Richtung Coiffeursalon Häärlidiebe beim Bahnhof.

Bei Sam auf dem Balkon

Kurz nach 12 Uhr betrat ich den Salon der Häärlidiebe und die Überraschung war definitiv gelungen, als mich Nici mit grossen Augen nur sprachlos ansah, ehe wir uns überglücklich in die Arme fielen.

Eigentlich erwartete Nici eine gewisse Frau Moser auf 12 Uhr zum Haare schneiden, eine fiktive Frau mit Männerstimme, welche Käri erfand und ihre Person ziemlich glaubhaft schildern konnte. Ursprünglich war die Idee, dass ich anstelle von Frau Moser Platz nehmen würde, aber ans Haareschneiden war bei Nici zu diesem Zeitpunkt nicht zu denken.

Käri holte eine Flasche Weisswein und kurze Zeit später kamen noch meine Eltern mit dem nächsten Apéro vorbei. Auch Nicis Eltern wurden noch kurz herbeigerufen und Büür und Max kamen auch noch kurz hallo sagen, als sie das gelbe Fahrrad vor dem Salon stehen sahen.

Überraschung vollends gelungen
Nächstes Apéro
Ende gut, alles gut

Tja, das wars! Nach genau 102 Tagen und 6305 Kilometer ist meine Reise durch die Schweiz, Deutschland, Österreich, Slowakei, Tschechien, Polen, Litauen, Lettland, Estland, Schweden, Dänemark, wieder Deutschland, Holland, Belgien und Frankreich vorüber.

Ich kann mich nur glücklich schätzen, überstand ich die ganze Reise ohne Stürze, ohne Verletzungen, ohne Beschwerden und komplett ohne Krankheiten. Mir wurde auch nie was gestohlen, hatte (fast) nichts verloren und hatte absolut keine negativen Erfahrungen mit den Leuten gemacht. Zudem hatte ich nie das Bedürfnis die Reise aufzugeben und fühlte mich dank den heutigen Kommunikationsmittel auch nie wirklich einsam. In einem Sommer, indem Corona wütete, ist es auch nicht selbstverständlich sich ohne Probleme von Land zu Land über die Grenzen zu bewegen. Die positiven Eindrücke übertrafen die paar kleinen negativen bei Weitem. Auch mein Aarios Flitzer machte super mit, gab es doch lediglich 4 Platten und 1 Kettenwechsel. Ok, die Vorderbremse ist seit heute auch hinüber, aber ansonsten absolut keine Probleme.

Die Reise wird mir definitiv nur positiv in Erinnerung bleiben mit all den tollen Begegnungen, schöne Landschaften, coole Radwege und den tausenden von Einblicken in das Alltagsleben von so vielen verschiedenen Leuten. Einziger Wehrmutstropfen ist möglicherweise, dass ich mir kulturell doch mehr erhoffte, aber leider liess das Corona nicht zu. Kein Dorffest, kein Festival oder Konzert. Nichts. Das war ein bisschen schade.

Es wird oft berichtet, dass so eine Reise einem verändern würde. Habe ich mich verändert? Kein bisschen! Ausser dass ich möglicherweise ein paar Dinge in Zukunft etwas lockerer sehen werde…

Für alle die das hier jetzt lesen, morgen Samstag, 19. September zügeln Nici und ich ins schöne neue Zuhause im Zelg 1 in Ueberstorf. Ab Nachmittag gibt es gemütlich chill&grill. Wer Lust hat, darf gerne vorbeischauen. Für Getränke ist gesorgt, einfach was für den Grill selber mitbringen 😉

11.9.2020 Gurbrü (Tag 101, 6’286km)

81.44km, 895hm, 5:54h, schön, 22°

Da ich an diesem Tag so nah wie möglich an mein Zuhause kommen wollte, fuhr ich nach einem leckeren Morgenessen im Hotel bereits vor 9 Uhr los und besuchte noch kurz die Altstadt von Delémont. Ich folgte dann weiter der Veloroute 64 Richtung Moutier. Ausnahmsweise war das Wetter an diesem Morgen noch bedeckt, aber im Verlauf des Morgens verzogen sich die Wolken wieder komplett. Ein weiterer herrlicher Tag zum Fahren.

Altstadt von Delémont

Der Weg folgte dann entlang der Birs zwischen hohen Felsen durch, ziemlich eindrücklich und ich liess nochmals die Drohne steigen.

Nach einem weiteren Aufstieg nach Moutier gings relativ flach durch etliche Dörfchen bis nach Tavannes. Da kam der letzte Pass, der Col de Pierre-Pertuis und danach gings runter nach Sonceboz.

Wieder Traumwetter
Der letzte Pass – Col de Pierre-Pertuis

Nach Sonceboz gab es keinen richtigen Fahrradweg mehr, die Schweizmobil-Route empfahl hier den Zug. Denkste! Ich wollte abseits der Hauptstrasse 6 runter nach Biel fahren und versuchte ein paar kleinere Fusswege, musste aber wieder umkehren, da eine Baustelle den Weg blockierte. Ziemliches Chaos auf diesem Streckenabteil mit Autobahn, Tunnels, Eisenbahn und Strassen. Ich musste dann auf die Hauptstrasse ausweichen und dann ging es durch ein paar Tunnels runter nach Biel.

In Biel ging ich wie ein Tourist erstmal durch die Altstadt und besuchte auch mein altes Tech. Immerhin lebte ich vor fast 20 Jahren für 3 Jahre in Biel, aber so habe ich die Stadt noch nie gesehen. Ich musste mich dann entscheiden, wo mein Weg weiterführt. Entweder über Bern oder direkt durchs Seeland. Entschied mich für den direkten Weg und würde zum Abschluss noch einmal wild zelten.

Die Altstadt von Biel
Fachhochschule Biel
Der Touri in Biel

Ich fuhr dann via Bellmund, Jens und Kappellen nach Aarberg. Dort ging ich einkaufen und wollte mir zum Abschluss zuerst ein Fondue reinziehen, liess es aber sein, denn zu einem Fondue gehört ein Weisswein und den fand ich nicht gekühlt. Immer diese Probleme mit den gekühlten Getränken 😉

Aufstieg von Biel nach Belmond
Schönes Städtchen Aarberg

Nach Aarberg folgte ich auf einem wunderschönen Radweg der Aare und genoss bei einem Zugang zur Aare ein Fübi. Die Aare steht hier auch fast still, eigentlich ideal zum Baden, aber war mir ein wenig zu kalt. Die Füsse zu kühlen genügte vollends.

Ar Aare dürefahre
Wunderschöne Badeplätzchen an der Aare

Ich fuhr dann noch durch Kallnach, Golaten und Wileroltigen und bog dann in einen Wald. Ich fuhr im Zickzack fast durch den ganzen Wald, bis ich ein geeignetes Plätzchen fand. War auch ziemlich müde, waren schliesslich wieder fast 900 Höhenmeter bei über 80 Kilometer.

Letztes wild camp

Ich stellte mein letztes Camp und telefonierte nochmals mit Nici. Offiziell war ich erst kurz vor Delémont in einem Wald, genau dort wo ich am Vortag extra hinfuhr. Puh, keinen Versprecher gemacht, jetzt sollte die Überraschung eigentlich gelingen.

Ich hörte auf meinem Laptop in voller Lautstärke Musik und liess die ganze Reise etwas Revue passieren indem ich auf Google Maps die ganze Route von Ort zu Ort anschaute. Es war bereits stockdunkel, als ein Auto auf dem Feldweg heranfuhr und genau auf meiner Höhe anhielt und jemand ausstieg. Was zum Geier? Kurz danach rief jemand „Chlous?“. Die Stimme kenne ich doch, das ist doch Sam! Diese Überraschung ist ihm gelungen, hätte nie damit gerechnet. Ich schickte ihm 2h vorher meinen Standort, da er einer der Einzigen war, der von meinem Täuschungsmanöver Bescheid wusste. Dann ist er mit seinem Handy und nur noch 2% Akku punktgenau zu meinem Camp navigiert. Unglaublich die heutie Technik.

Natürlich brachte er auch ein paar kühle Bierchen und wir genossen gemeinsam mein letzter Abend auf der Reise. Danke Sam, das war ein sehr cooler letzter Abend.

Welch Überraschung

Jetzt sind es noch knapp 18km bis nach Schmitten, das sollte doch noch zu packen sein.

10.9.2020 Delémont (Tag 100, 6’205km)

74.61km, 818hm, 5:23h, schön, 24°

Bei schönem Wetter verliess ich Belfort und kam ausserhalb Belforts gleich auf den französisch-schweizerischen Fahrradweg la francovélosuisse, welcher von Belfort bis nach Porrentruy führt. Wunderschöner Radweg und sehr gut signalisiert.

Hier gab es einer der letzten Gefechte des Deutsch-Französischen Krieges 1870/71 bei der Belagerung von Belfort
Bereits ab Belfort war die 64 angeschrieben, Lötschberg-Jura-Belfort

In Delle, das letzte Dorf in Frankreich vor der Grenze, wollte ich noch ein paar Euromünzen loswerden und setzte mich in ein Café. Da es ziemlich viele Leute hatte, ging ich gleich zum Tresen um eine Cola zu bestellen. Die Frau hinter der Bar fragte mich „Seulement un Coca?“ – „Mais oui“. Dann wären sie ausgebucht, sie könne mir nichts verkaufen, sorry. Ich verliess das Café stinkesauer und fuhr weiter und ehe ich mich versah, war ich schon an der Grenze und das Geschehen von vorher schon wieder vergessen. Das war echt ein komisches Gefühl die vertrauten Wegweiser zu sehen. Auch als ich durch die ersten jurassischen Dörfchen fuhr, und die JU-Nummerschildern der Autos sah, erschien mir irgendwie unreal.

Letzte Landesgrenze

Ich folgte weiter der 64 und war bald einmal in Porrentruy (Pruntrut). Von da an wäre meine geplante Route quer über den Jura gegangen, entschied mich aber weiter der 64 zu folgen und schaltete mein Navi aus. Wäre zwar ein längerer Weg, dafür etwas weniger Höhemeter, was mir mehr als Recht war, waren die Beine doch etwas Müde von den Strapazen der letzten Tage.

Kurz nach Porrentruy verfuhr ich mich noch in Cornol, verpasste ein Abzweigung. Das war der Nachteil ohne Navi, das braucht definitiv mehr Konzentration als blind der geplanten Route zu folgen.

Dann ging es über den Col Les Rangiers. Zwar „nur“ 350 Höhenmeter, aber Steigungen bis zu 16%, der war echt hart. War fast noch härter als der Col du Ballon d’Alsace vom Vortag, da es den Puls bis auf 180 hochjagt, selbst im 1.Gang und bei so langsamen Treppen wie nur möglich. War ziemlich froh als mir ein entgegenkommender Tourenfahrer zurief, es wäre nur noch ein kurzes Stück.

Da ich nicht genau wusste, wo ich die letzte Nacht auf Samstag verbringen würde, fuhr ich auf der Abfahrt nach Delémont irgendwo in einen Feldweg rein, um die GPS-Strecke aufzuzeichnen für ein mögliches wild camp. Zudem fuhr ich noch irgendwo zu einem Wohnhaus, falls ich die letzte Nacht noch bei einem Kollegen auf dem Sofa verbringen würde in Biel oder Bern, dann könnte ich vorgeben, ich sei bei einem Airbnb-Gastgeber.

Ich fuhr dann bis Delémont und ging ins Motel Au Gros Pré. Und wieder waren es über 800 Höhenmeter. Unglaublich wie hügelig es hier ist 😉 Für die perfekte Täuschung kaufte ich im Coop in Delémont sogar französisches Kronenbourg, denn offiziell war ich ja immer noch in Frankreich in Belfort im Hotel B&B. Echt anstrengend jemanden in der heutigen Zeit einen anderen Standort vorzugaukeln, mit online GPS-Daten, Whatsapp Fotos und Videochats.

Hotel in Delémont
französisches Kronenbourg als Camouflage

So, das ursprüngliche Ziel von 100 Tagen habe ich erreicht! 😀 Unglaublich wie schnell dies nun vorüber ging. In zwei Tagen würde ich bereits zuhause sein.

9.9.2020 Belfort F (Tag 99, 6’130km)

100.40km, 1’140hm, 7:20h, schön, 23°

Tag 99! Die 100 und somit mein ursprüngliches Ziel in greifbarer Nähe. Als ich erwachte, packte ich gleich alles sofort zusammen und fuhr noch vor 9 Uhr los ohne Kaffee und Tagebuch. Wollte etwas Zeit einsparen, denn auf dem Programm war möglicherweise der Col du Ballon d’Alsace, ein Pass über die Vogesen. War zu diesem Zeitpunkt allerdings unsicher, ob ich den fahren würde.

Verpasst ein Foto vom Zeltcamp zu machen, schon wieder abreisebereit

Gegen Mittag fand ich dann endlich ein Café in Remiremont wo ich auch mein Tagebuch nachführte. Nach 27km war Remiremont bereits auch schon mein offizielles Tagesziel, welches ich auf Google Maps eintragen würde. Leider habe ich es verpasst, an einem Hotel vorbeizufahren, in welchem ich vorgeben würde zu übernachten.

Die Route führte weiter den schönen Velowegen La Voie Verte nach, ein sehr gut ausgebautes französisches Fahrradnetz. Ich kam dann dem Ursprung der Moselle immer näher und die Steigung nahm Richtung Saint-Maurice-sur-Moselle auch merklich zu. Das Wetter war wieder einmal hammermässig schön und fast kein Wind. Fast etwas zu warm, aber ja nicht anfangen zu jammern 😉

Sehr gutes Velonetz in dieser Gegend

Ich war bereits um halb 3 in Saint-Maurice-sur-Moselle und fühlte mich noch topfit. Hatte immerhin schon 60km und fast 500 Höhenmeter hinter mir. Da wusste ich, dass ich den Pass fahren würde und danach möglicherweise auch noch bis Belfort runter, denn da würde es bestimmt ein paar Hotels geben. Wären dann aber über 100 Kilometer total und das mit diesen vielen Höhenmetern.

Normalerweise ist die Skala für die Höhe pro Häuschen auf 50m eingestellt, nicht 200m.
Start des Passes in Saint-Maurice-sur-Moselle

Gegen 15 Uhr nahm ich dann den Ballon d’Alsace in Angriff. Über 600 Höhenmeter auf 9km verteilt mit einer durchschnittlichen Steigung von 7%. Die Steigung empfand ich als ideal und konnte diese meistens gemütlich im 3. Gang fahren. Ich kam dann viel besser voran als gedacht.

schöner Blick auf Saint-Maurice-sur-Moselle
Yes! „Nur“ noch 483 Höhenmeter

War auch schön zu sehen, wieviele andere Radfahrer und Autofahrer dich anfeuerten oder einfach nur den Daumen hochhielten, das motivierte doch zusätzlich. Zudem war ich froh, dass doch ab und zu mal der Weg durch die Wälder führte und etwas Schatten spendete. Die Sonne heizte doch ziemlich ein und die Temperatur betrug anfangs des Passes fast 30°.

Gegen den Schluss wurde es doch etwas hart und ich verspürte, zum ersten Mal überhaupt, einen kleinen Schmerz im rechten Knie. Aber nach gut 1:45h hochfahren, kam ich ziemlich happy auf dem Pass auf 1’165m.ü.M an.

Geschafft!

Dann der Schock, Restaurant geschlossen! Darf doch nicht war sein! Selten freute ich mich so sehr auf ein kühles Bierchen 😉 Als ich mich mit den Tatsachen vereinbarte und ich mich für die lange Talfahrt vorbereitete, sah ich das 2. Restaurant um die Ecke und konnte mir doch noch ein wohlverdientes Bierchen gönnen.

Ein Tourist bot mir an ein Foto zu machen. Wenn es sein muss…
Extrem verdientes Bierchen

Dann kam die wunderschöne lange Abfahrt Richtung Belfort. Die machte extrem viel Spass und ich bretterte mit Vollgas die kurvenreiche Strecke ins Tal hinunter. Die Passstrasse war zum Glück nicht so stark befahren. Die Töff- und Radrennfahrer hatten jedenfalls etwas Mühe mich zu überholen 😉

Zitadelle Belfort

In Belfort plante ich den Weg zum Hotel ausnahmsweise mit dem Garmin Navi und war über die gewählte Route von Garmin extrem genervt. War wohl zwar die kürzeste Strecke, aber es ging wieder viel hoch und runter und ich hatte nach fast 100 Kilometer und über 1000 Höhenmeter absolut keine Lust mehr Steigungen zu fahren. Aber irgendwann kam ich dann trotzdem noch am Hotel an und war happy diese erneute Königsetappe geschafft zu haben. 100 Kilometer mit 1’140 Höhenmeter mit einem 42kg-Velo, dass muss man erst mal hinkriegen 🙂

B&B Hotel in Belfort

Am Abend verbrachte ich noch (zu)viel Zeit mit dem Manipulieren der GPS-Daten. Zeitstempel mussten angepasst werden und ein Teil vom Vortrag mit einem Teil von heute zusammen geschnitten werden. Und das schwierigste war einen Editor zu finden, bei dem ich easy neue Wegpunkte einzeichnen konnte mit entsprechenden Zeitstempeln. In Remiremont musste ich ein paar Punkte einzeichnen zu einem Hotel und in Épinal musste ich den Weg zum Camping ausschneiden. Ziemlich aufwendig. Ich hoffte doch sehr, dass sich der Aufwand lohnen würde.

In den Telefonaten mit Nici musste ich zudem extrem aufpassen, keine Fehler zu machen und durfte nichts von der Königsetappe erzählen, sondern nur, wie easy der Tag eigentlich war mit nicht allzuvielen Steigungen 😉 Bis nach Belfort hatte ich nun schon 60 Kilometer rausgemogelt und am nächsten Tag würde ich inoffiziell bereits die Schweiz erreichen, aber offiziell wohl erst in Belfort landen.

8.9.2020 Épinal F (Tag 98, 6’030km)

70.34km, 608hm, 4:56h, schön, 26°

Von Chaligny fuhr ich erst gegen Mittag los, da am Mogen auf einmal Thierry, der Gastgeber auftauchte und wir noch ein Weilchen plauderten. Er arbeitete die ganze Nacht im Spital 200km weiter und hatte eine lange Rückfahrt. Ich bekam sogar noch Morgenessen, was bei Airbnb nicht unbedingt üblich ist.

Sowas sollte es viel häufiger geben, wäre ich ein paar Mal froh darum gewesen

Ich folgte weiter der Meuse, bis der Weg etwas vom Fluss abweichte und doch über ziemlich hügelige Wege führte. Es war sehr warm und ich war um jeden Schattenplatz froh, um eine kleine Pause machen zu können.

Lecker Mirabelle
Letzter grosser Meilenstein

Genau bei Meilenstein Kilometer 6’000 kam ich beim Camping in Charmes an. Ich fuhr extra in den Camping hinhein, denn ab hier würde ich anfangen meine Route zu manipulieren. Der Grund war, dass ich am kommenden Samstag um 12:00 einen Coiffeur-Termin haben würde bei den Häärlidiebe in Schmitten und ich Nici aber glaubhaft vorgaukeln wollte, dass ich erst Sonntag Abend oder Montag nach Hause kommen würde. Da Nici die Route jeweils ziemlich genau studierte, musste ich dies glaubhaft manipulieren und GPS-Daten manipulierst du am einfachsten, indem du an den entsprechenden Plätzchen auch wirklich durchfährst.

Ich fuhr dann noch 30 Kilometer weiter wieder alles der Meuse entlang. War ein praktischer asphaltierter Radweg (la voie verte) mit jeweils kleinen Steigungen, da ich ungefähr an 30 Schleusen vorbeifuhr.

Épinal

In Épinal ging ich erst einmal eins trinken und fahr dann Richtung Camping Parc du Château, welcher auf einer Anhöhe oberhalb von Épinal lag. Bevor ich aber mein Zelt aufstellte, hockte ich mich an die kleine Bar beim Camping, denn diese würde (angeblich) in 30 Minuten schliessen. Der Flämisch-Belgier zahlte dann noch eine Runde und danach waren nur noch ein paar Angestellte und ich an der Bar und jeder wollte noch eine Runde zahlen. So geht das in Frankreich. Ich musste mein Zelt schlussendlich im Dunkeln aufstellen, was mich allerdings nach dem 50. Mal vor keinerlei Probleme stellte.

Aufbau by night @ Camping Parc du Château (mittlerweile ist der Blitz der Kamera defekt)

Bereits auf dieser Etappe wurde es markant hügeliger, aber jetzt kommen die Vogesen und die werden definitiv kein Zuckerschlecken.

7.9.2020 Chaligny F (Tag 97, 5’960km)

73.86km, 487hm, 5:01h, schön, windstill, 20°

Ich folgte weiter der Meuse, wenn auch nur in entsprechender Richtung, denn es wurde ziemlich hügelig. In Euville nach gut 20km fand ich dann endlich ein Café für den ersten Kaffee des Tages.

einfach nur schön
EuroVelo 19. Leider erst am Entstehen, online fand ich keine genauen Karten

In Pagny-sur-Meuse verliess ich dann entgültig die Maas und kam dann nach gut 45km nach Toul mit einer schönen Kathedrale. Musste mich dann mal entscheiden wo ich übernachten würde. Ich probierte dann zum ersten Mal Airbnb aus. Nach ein paar Mal hin und her schreiben mit Thierry, bestätigte ich meine Buchung in Chaligny. Das Problem war, Thierry war nicht zuhause an diesem Abend, aber wir konnten trotzdem alles klären.

Cathédrale Saint-Étienne de Toul
Es gibt es also doch, kühles Bier in einem Supermarkt in Frankreich!

Ab Toul folgte ich dann der Moselle (Mosel), zweitlängster Nebenfluss (nach der Meuse/Maas) des Rhein.

La Moselle (Mosel)

Bevor ich zur Unterkunft fuhr, wollte ich in Nouvelle Maisons noch ein Restaurant besuchen. Fand allerdings wieder einmal keines das geöffnet war. Unglaublich wieviele Restaurants geschlossen haben. Ok, war Montag, möglicherweise auch ein Grund.

Thierry, der Gastgeber, hatte zuvor eine Fernbedienung des Garagentors unter einem Eimer platziert und ich konnte es mir in seinem Haus gemütlich machen. Kurze Zeit später kam noch ein 2. Gast, welcher Wochenaufenthalter bei Thierry war um eine Schule in der Nähe zu besuchen. Ich fragte Thierry per Message, ob ich noch eine Ladung Wäsche machen dürfe. Natürlich! Er erklärte mir alles und ich konnte zum letzten Mal nochmals alles waschen. Meine erste Erfahrung mit Airbnb war auf jedenfall durchwegs positiv.

Airbnb-Haus von Thierry

Ich komme dem Zuhause immer näher. Chaligny befindet sich in der Nähe von Nancy. Jetzt kommen dann schon die Vogesen! Da wirds wieder richtig hügelig.

6.9.2020 Bislée F (Tag 96, 5’886km)

63.96km, 468hm, 4:34h, teilweise bewölkt, 18°

Mann war das eine arschkalte Nacht! So gefroren hatte ich bisher noch nie, obwohl ich lange Unterhosen und Kappe angezogen hatte. Waren ungefähr nur 6° in der Nacht und zeigte meinem Sommerschlafsack die Grenzen auf. Dementsprechend schlief ich auch schlecht und am Morgen um 10 Uhr waren es immer noch erst 10°. Ich war noch nie so froh über ein paar Sonnenstrahlen, als diese endlich hinter den Wolken hervorkamen. Wollte eigentlich nochmals warm duschen zum Aufwärmen, aber war dauernd besetzt. Mit den ersten Sonnenstrahlen war dies dann aber glücklicherweise nicht mehr nötig. Man stelle sich mal vor es hätte angefangen zu regnen, anstatt Sonnenschein. Ich hätte mich ins Zelt verkrochen und wäre den ganzen Tag liegen geblieben.

Ich fuhr dann erst gegen halb 12 Uhr los, bis alles ganz trocken war, das Zelt war triefend nass, auch ohne Regen. Ich folgte dann weiter der Meuse. Aber bald einmal war der Feldweg direkt an der Meuse dermassen schlecht, dass ich nur noch fluchte wie ein Rohrspatz. Wunderschönes Wetter, kaum Wind, schöne Gegend, Vogelgezwitscher und ich extrem schlechte Laune. Es war ein sehr holpriger Feldweg, zum Teil kaum fahrbar.

Scheiss Weg, das vermeintliche Lächeln ist nur für die Kamera
Hier war der Weg noch ok
Da ich am Vorabend so früh schlafen ging, blieb noch ein Bierchen übrig. Musste als Frustbier herhalten

Bei der nächsten Gelegenheit ging ich zurück auf die Strasse und folgte nur noch der Strasse. Dadurch war es zwar nicht mehr flach, aber zumindest gut fahrbarer Asphalt.

6’537 Gräber von gefallenen Franzosen hauptsächlich vom 1. Weltkrieg, aber auch vom 2. (Bras-sur-Meuse)

Nach einer Cola-Pause im schönen Verdun versuchte ich nochmals dem Weg auf dem Navi zu folgen. Fing wieder toll an, schön breit, guter Schotter. Dann wurde der Weg wieder zusehends schlechter. Und diesmal landete sich sogar in einer Sackgasse. Dachte schon ich müsse ca. 4km auf dem Scheiss-Weg zurück. Beim Umkehren habe ich dann noch einen kleinen Durchgang gefunden zurück zum eigentlichen Feldweg, irgendwo schien ich davon abgekommen zu sein. Aber musste alle Taschen abmontieren und einzeln durch den steilen Durchgang hochhieven. Bei der nächsten Brücke ging ich wieder auf die Strasse und schaltete die Navigation ab und fuhr nur noch Strasse.

Verdun
Baguetteautomat. Für 1€ kommt ein warmes knuspriges Baguette raus! Sehr geil!

In Bislée ging ich ins Hotel La Table Des Bons Pères, denn ich hatte keine Lust nochmals so eine arschkalte Nacht zu verbringen. In den nächsten Tagen soll es wieder ein paar Grad wärmer werden in der Nacht. Freute mich auf eine Nachtessen im Restaurant. Aber genau am Sonntag hatte das Restaurant natürlich zu. Passte zu dem Scheiss-Laune-Tag. Zum Glück hatte ich immerhin noch ein warmes Baguette.

5.9.2020 Sivry-sur-Meuse F (Tag 95, 5’822km)

64.33km, 571hm, 4:44h, bewölkt, 17°

Hotel Kyriad

Von Sedan ging es ausnahmsweise los ohne Kaffee und folgte der Meuse. Ging lange bis ich herausgefunden habe, dass es sich bei der Meuse um denselben Fluss handelt wie die Maas! Den habe ich zuletzt in Liège in Belgien gesehen.

Ich fuhr durch zahlreiche Dörfer und niergens war ein Restaurant zu finden. Alles verschlafene, etwas heruntergekommene Dörfer. Erst in Stenay nach 35-40km fand ich etwas mehr Leben und somit auch eine Restaurant das offen hatte. So wie in Frankreich habe ich es bisher noch nie so empfunden, aber hier scheinen fast alle Restaurants dauerhaft geschlossen zu sein. Scheiss Corona. Stenay befand sich übrigens schon in der Region Lorraine (Lothringen) und Champagne-Ardenne wurde schon wieder verlassen.

Stenay
endlich Kaffee

Ich fuhr dann auf vielen Feldwegen der Meuse entlang, aber musste einmal auch wieder umkehren, da der Weg unbezwingbar war, zu eng, überwuchert und mit Dornen übersät. Das war nun schon lange nicht mehr geschehen, dass ich gleich umkehren musste um einen anderen Weg zu suchen.

unüberwindbarer Weg

In Sivry-sur-Meuse fand ich einen sehr sympatischen kleinen Campingplatz, ausschliesslich mit Dauermietern. Hier heisst jedes Kaff sur-Meuse, wie damals an der Donau. Lange ists her.

Abends, nach dem gekochten Abendessen, wollte ich noch ein wenig bloggen, musste die Übung aber frühzeitig abbrechen, war zu kalt trotz langen Unterhosen und Kappe! Ich verkroch mich sogleich ins Zelt und ging wieder früh schlafen.

Ich finde es übrigens sehr schön kann ich mich in der Landessprache mit den Leuten unterhalten. Geniesse es sehr französisch zu sprechen, auch wenn mein französisch eher mittelprächtig ist. Aber wenn ich zurück denke, als ich in gewissen Ländern mit Händen und Füssen reden musste, habe ich jetzt auch nicht mehr so Hemmungen einfach drauflos zu blabbern.

4.9.2020 Sedan F (Tag 94, 5’757km)

69.56km, 1’184hm, 6:30h, leicht bewölkt, 23°

Die Königsetappe stand auf dem Programm. Jedenfalls bezüglich der Höhenmeter. Deshalb fuhr ich bereits vor 9 Uhr los und machte wenig Pause und kam gut voran. In Maissin machte ich beim Brunnen vor der Kirche eine Mittagspause. Bis dahin hatte ich bereits über 500 Höhenmeter hinter mich gebracht, bei lediglich 25km. In Maissin traf ich sehr viele Wanderer an, scheint ziemlich beliebt zu sein.

fast wie in Schweden
schöne Waldwege
seit Neustem führe ich sogar Mayo mit 😉

Die nächsten 25 Kilometer waren dann etwas weniger hügelig und ging durch die schönen Ardennen-Wälder. In Paliseul gabs dann die erste Bierpause. Eigentlich wollte ich Kaffee bestellen, aber als ich absitzte, kam die Sonne hinter den Wolken hervor und brannte auf mich nieder, das änderte meine Entscheidung kurzfristig 😉

Paliseul

Nach Paliseul ging es bald mal runter nach Bouillon. Auf dem Weg runter gab es schöne Aussichten auf die Burg von Bouillon und ich liess seit langem wieder einmal die Drohne steigen.

Burg Bouillon aus dem 11. Jahrhundert
wunderschönes Städtchen Bouillon

In Bouillon gab es nochmals eine Pause. Bis dahin waren es schon über 900 Höhenmeter. Dann kam noch das Husarenstück. Eine 200 Höhenmeter gefühlt senkrechte Wand hoch zur Grenze zu Frankreich mit einer mittleren Steigung von 12%. Ich dachte ich müsse möglicherweise noch schieben, denn auf dem Navi zeigte es zum Teil fast 20% an, war dann aber nicht so und ich fuhr die ganze Steigung am Stück durch! Alles im 1.Gang und so langsam wie nur möglich. Die Sonne brannte auf mich nieder und oben angekommen war ich komplett durchnässt, aber geschafft! 😀

Die Streiff sieht auf den Fotos jeweils auch nicht so steil aus wie sie effektiv ist
knapp 200hm hochrot

Dann kam auch schon die Grenze, aber wiederum deutete nichts, ausser ein billiges B-Schild auf der Belgienseite, darauf hin, dass man eine Landesgrenze überschreitet. Egal. Bienvenue en France! Danach musste ich mich entscheiden, ob ich in das geplante Hotel in Sedan gehe, hätte es noch bis 18 Uhr kostenlos stornieren können. Eigentlich wollte ich die Nacht in den Ardennen-Wälder verbringen, aber ich hatte durst und nichts anständiges mehr zu trinken, deshalb fuhr ich runter nach Sedan.

einziger Hineweis auf Grenze. Langweilig…

In Sedan ging ich noch in einen Supermarkt, aber die hatten, nichts, aber auch gar nichts Kaltes zu trinken! Nichts! Anständiges Restaurant fand ich auch nicht, also fuhr ich zum Hotel Kyriad und die teilten mir mit, dass das Restaurant zu hat. Aber ich konnte ihnen immerhin noch ein Bier abschwatzen. So ein 2.5dl-Ding zum Wucherpreis. Immerhin.

Auch Sedan verfügt über eine schöne Burg!

Am Schluss waren es 1’184 Höhenmeter bei 70km und ich ging früh und müde, aber zufrieden ins Bett.

fast 1200 Höhenmeter lässt sich doch sehen

3.9.2020 Jemelle B (Tag 93, 5’688km)

58.33km, 666hm, 4:46h, morgen regen, danach trocken, bisschen gegenwind, 16°

Meine Wünsche wurden erfüllt und es regnete als ich aufstand. Gold richtige Entscheidung mit dem Unterstand! 🙂 Ich erwachte erst gegen 9 Uhr, da kann man davon ausgehen, dass mich der Zug nicht wirklich störte, obwohl der erste kurz nach 5 Uhr über mich donnerte (laut Fahrplan).

sogar mit Tischli

Als ich dann gegen 11 losfuhr, hat es sogar aufgehört zu regnen und blieb auch so den ganzen Tag. War auch froh drum, denn durch die hügeligen Ardennen kannst du vergessen die Regenmontur anzuziehen, da schwitzt du zu sehr. Sprich, wenn es regnen würde, wirst du so oder so nass, nicht zu verhindern.

Es ging dann noch ein wenig weiter der L’Ourthe entlang, bis das ständige auf und ab anfing, sogar mit kurzen Schiebepassagen. Das ganze noch bei Gegenwind, aber zum Glück blieb es trocken. Ich kam sehr schleppend voran und um 16 Uhr kam ich nach Marche-en-Famenne. Bis dahin waren es gerade mal 45km, aber bereits mit über 600 Höhenmeter. War die Hügeln nicht mehr so gewöhnt, die Ardennen setzten mir doch etwas zu. Das war aber eher der flächere Teil des belgischen Waldgebirges, die richtigen Hügeln kommen erst noch.

Konzentration war gefordert, gefährlich mit den Taschen am Zaun anzuhängen
ständiges auf und ab
Hotton
auch Hotton, glaube ich zumindest

In Marche-en-Famenne ging ich erst mal in die Kneipe und bestellte ein Bier. In Belgien erhälst du ein 2.5dl Glas, wenn du einfach ein Bier bestellst. Das war in Bayern bisschen anders 😉

Sobald in Belgien irgendwo Menschenansammlungen möglich sind, herscht Maskenpflicht. Sehe nun wieso die dies seit der 2. Welle so gut in den Griff bekamen. Als ich auf einer Brücke anhielt um ein Foto zu machen, schnauzte mich ein jüngerer Mann bereits an, ich solle gefälligst die Maske aufsetzen. So geht das in Belgien. Wieso sich die Schweizer Regierung so schwer tut mit Maskenpflicht in der Öffentlichkeit, verstehe ich ehrlich gesagt nicht ganz, wäre doch kein grosses Ding und ist mit Abstand die einfachste Methode die Zahlen nach unten zu schrauben. Meine Meinung dazu hat sich im Verlauf der Reise geändert, am Anfang fand ich es einfach nur lästig, aber man gewöhnt sich mit der Zeit daran und ist effektiv eine wirksame Methode.

Marche-en-Famenne, überall Maskenpflicht

In Jemelle fand ich einen sehr sympatischen kleinen Campingplatz. Durfte sogar den Strom anzapfen und verbrachte den Abend gemütlich auf Platz.

Campingplatz in Jemelle

Ich merke gerade, wie dunkel all die Bilder sind. Aber bei dem Wetter ist es verdammt schwierig ein anständiges Bild zu schiessen.